Lektorat in Zeiten von KI: Ist der Mensch ersetzlich?

Wir alle kennen diese typische Smalltalk-Situation. Menschen begegnen sich zum ersten Mal, z.B. auf einer Party, und kommen ins Quatschen. Dabei fällt irgendwann unweigerlich diese eine ganz bestimmte Frage, an der scheinbar kein Weg vorbeiführt. Ich spüre sie schon nahen, noch bevor mein Gegenüber dazu ansetzt, und zack! Da ist sie: „Und was machst du so beruflich?“
Ein Fragezeichen im Gesicht als Reaktion auf meine Antwort ist gar nicht mal so selten. Eigentlich halte ich meinen Job für relativ alltäglich, doch selbst der Grundschullehrer meines Sohnes hat mich mal mit unverhohlener Ratlosigkeit gefragt: „Und was machen Sie da genau?“

Was soll ich sagen? Wir Lektor:innen sind die Handwerker der Sprache. Wir nehmen einen Text und polieren ihn, bis er glänzt – dabei achten wir auf Rechtschreibung, Grammatik und Satzbau. Wir überprüfen, ob der Text flüssig und gut verständlich ist, ob die Worte richtig gewählt und die Absätze perfekt strukturiert sind. Wir setzen den Feinschliff, den ein Rohdiamant braucht, um in seiner vollen Pracht zu erstrahlen! Wir klopfen die Storyline auf ihre Tragfähigkeit ab. Hält das Konstrukt oder gibt es wackelnde Wände und schiefe Böden? Wir machen Vorschläge zur Stabilisierung und schauen, ob Fenster und Türen sinnvoll eingesetzt sind und weder klemmen noch (ungewollt) quietschen. Das klingt nicht nur nach Bauarbeit, sondern ist es auch – nur eben im Bereich der Worte.

Im Zuge des Vormarschs von KI sehen wir uns immer häufiger mit der Frage konfrontiert, ob wir unseren Berufsstand als bedroht ansehen. Die Antwort ist ein klares Nein. Denn wer denkt, dass wir nur Fehlerjäger sind, irrt gewaltig. Klar, KI ist in der Lage, Typos oder Grammatikschnitzer aufzuspüren. Sie kann in dieser Hinsicht unterstützen, doch das, was uns wirklich ausmacht, schafft sie nicht.

Ich bin häufig im erotischen Bereich unterwegs (diese Information erweist sich bei Party-Talks oft als sehr wirkungsvoll, aber das ist ein anderes Thema 😉). Was ein, zwei oder eine ganze Gruppe von Menschen miteinander tun können, wird nicht umsonst auch als Bettsport bezeichnet, sollte sich aber nicht nach körperlicher Schwerstarbeit lesen. Bei der Inszenierung von kunstvollen Verrenkungen verlieren sich Autor:innen gerne mal in Details– und ich den Überblick, wo oben und unten ist. In solchen Situationen hilft nur eins: Auf den Boden legen und als Trockenübung nachturnen! Dabei zeigt sich, ob nur die Wortwahl für Verwirrung gesorgt hat oder ob die Stellung anatomisch gar nicht möglich ist. Nicht immer ergibt nämlich das, was im eigenen Kopf irgendwie nachvollziehbar klang, in der Realität einen Sinn, es sei denn, der- oder die Ausführende ist ein Schlangenmensch.

Im kreativen Prozess ist es nicht immer einfach, den richtigen Blick für den eigenen Text zu behalten. Deshalb helfen wir den Autor:innen, sich aus ihrer Text-Blase zu befreien und die nötige Außenperspektive einzunehmen. Wir sind das kritische Auge, das gleichzeitig verständnisvoll und unterstützend ist. Wir sorgen für Glaubwürdigkeit und Plausibilität  – bis ins Detail.

Damit das gelingt, ist die Kommunikation zwischen Lektor:in und Autor:in entscheidend. Der Lektor wird niemals mit der Dampfwalze über Werk und Urheber:in hinwegfahren, sondern immer auf Augenhöhe agieren und das beste Ergebnis für den Text anstreben. Wir sind, wenn man so will, die treuen Begleiter unserer Autor:innen auf deren Reise zum perfekten Werk.

Auf dem Weg dorthin halten wir Hände und Taschentücher, machen Mut, geben Ratschläge und notfalls auch mal einen Tritt in den Hintern.

Zeig mir die KI, die das kann.